Der Gesellschaft fehlt das Bewusstsein für Menschenrechte
Userkommentar | Ana Čamba
17. Februar 2015, 18:32
Eine bei der Anti-Pegida-Blockade in Wien eingekesselte Demonstrantin ist es leid, sich für das Demonstrieren rechtfertigen zu müssen
Nach den Anschlägen in Paris war förmlich in der Luft zu spüren, wie der Geist der Menschenrechte alle durchdrang. Doch nach der Demonstration gegen Pegida Anfang Februar in Wien fragt man sich: Wohin ist dieser Geist so schnell wieder verschwunden?
Freie Meinungsäußerung, Gleichbehandlung, Versammlungsfreiheit und Privatsphäre – diese Prinzipien gehören zu den ältesten kodifizierten Menschenrechten in der westlichen Welt. Ihnen ist zu verdanken, dass man eben nicht jederzeit der Polizei die Identität mitteilen muss – sondern nur bei vertretbarem Strafverdacht – und dass das Gesetz aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes vor Polizeiwillkür schützt. Genau diese Rechte wurden bei der Anti-Pegida-Demonstration in Wien gebrochen. Nach der Blockade wurden alle 200 eingekesselten Demonstrantinnen und Demonstranten nur gegen Identitätsfeststellung und Durchsuchung aus dem Kessel gelassen – mit dem vorgeschobenen Verdacht auf "Störung einer Versammlung".
Schikane
Von einem Menschen gegen die Wand gestellt werden, am gesamten Körper abgetastet werden, vor den prüfenden Blicken eines Menschen gezwungen werden, den gesamten Tascheninhalt auf den Boden zu legen. Gehindert werden, den Grundbedürfnissen nachzugehen, obwohl sich ein Café mit entsprechenden Einrichtungen nur einen Meter entfernt befindet. So etwas nennt sich Schikane, wenn die rechtliche Grundlage fehlt.
Rechtfertigungen satthaben
Als Demonstrationsteilnehmerin musste ich hören, dass wir alle Linksfaschisten seien, weil wir unseren Gegnern das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit absprechen würden. Ich habe es satt! Mich rechtfertigen zu müssen, dass ich ein Recht auf kollektive Meinungsäußerung habe. Wir haben an jenem Abend auch keine Gesetze verletzt: Der Paragraf 285 des Strafgesetzbuchs bezieht sich auf Versammlungen, nicht auf "Spaziergänge" – dieser konnte bei der Freyung stattfinden, und auch die anderen Punkte des Straftatbestands waren nicht erfüllt, da friedlich blockiert wurde.
Obrigkeitsdenken
In den Medien wurden am Tag danach gänzlich unkritisch die Aussagen der Polizei wiedergegeben: Alle 200 eingekesselten Blockadeteilnehmerinnen und -teilnehmer würden eine Strafanzeige erhalten. Ohne zu hinterfragen, ob der Strafverdacht überhaupt begründet war. Obrigkeitsdenken, olé! Medien übernehmen damit die Kriminalisierungsstrategien der Polizei. Vereinzelt tauchten später noch kritische Stimmen auf, doch da war die breite Masse der interessierten Leserinnen und Leser bereits zur Tagesordnung übergegangen. Im Gedächtnis bleiben jene Berichte, in denen Antifaschistinnen und Antifaschisten in Verbindung mit dem Strafgesetz genannt werden. Man fragt sich, warum "linke Chaoten" die großen Aufmacher sind und niemals überschießende Polizeimaßnahmen. Sollten wir unsere Augen nicht wachsamer auf die Handlungen jener richten, die zu Eingriffen in unsere Grundrechte berechtigt sind?
Einschüchterungen
Demonstrantinnen und Demonstranten werden bewusst von der Exekutive eingeschüchtert, mit unhaltbaren Strafanzeigen bedroht, es werden rechtswidrig Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen befohlen. Manche trauen sich nicht mehr auf Demonstrationen, weil sie befürchten, "Probleme" mit der Polizei zu bekommen. Diese Entwicklung ist äußerst bedenklich. Menschen werden zu Bürgerinnen und Bürgern erzogen, die Angst haben, bei Demonstrationen ihre Meinung kundzutun. Das kann nicht gut sein für diese Gesellschaft.
Ideal Menschenrechte
Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek hat die These aufgestellt, dass es in Europa an lebendigen Werten fehlt. Er sieht darin einen Grund, weshalb Menschen vermeintlichen Heilsversprechen, wie dem Islamismus, zulaufen. Wie wäre es, wenn wir unseren Menschenrechtskatalog zum Ideal ausrufen? Sind Menschenrechte nicht die einzigen Werte, die fähig sind, uns alle zu einen? Egal woher wir kommen und welcher Religion wir angehören? Sind sie nicht die einzige "Ideologie", von der es kein "zu viel" geben kann? Es braucht in der Öffentlichkeit endlich ein Bewusstsein für die Relevanz der Menschenrechte in unser aller Leben. Wir müssen kompromisslos dafür einstehen, dass unsere Menschenrechte nicht nach und nach im Namen der Sicherheit eingeschränkt werden. Denn wenn wir nicht aufpassen, wird die Stimme jener Menschen, die ihrer vermeintlichen Sicherheit den Vorzug geben, weiter wachsen. Und wer wird sich dann noch auf die Straße trauen? (Ana Čamba, derStandard.at, 17.2.2015)
Ana Čamba studierte Slawistik in Wien und derzeit an der Donau-Uni Krems Menschenrechte / Human Rights. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Wien.
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