Junge IS-Anhängerinnen als Vorwand für neues Vorratsdatenspeichern

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Junge IS-Anhängerinnen als Vorwand für neues Vorratsdatenspeichern

Beitragvon 0utput » Fr 10. Okt 2014, 16:50

Junge IS-Anhängerinnen als Vorwand für neues Vorratsdatenspeichern

8. Oktober 2014, 11:52

Abgeschafftes Datenspeichern soll Nachfolgegesetz erhalten - doch erwiesenermaßen sind Vorratsdaten gegen Terror nutzlos

Groß war die Freude unter Netzaktivisten und Bürgerrechtlern, als der Verfassungsgerichtshof (VfGH) im Juni die umstrittene Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärte. Der "gravierende Eingriff in die Grundrechte" sei "nicht verhältnismäßig", entschied das österreichische Höchstgericht. Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH), der um eine Einschätzung gebeten worden war, ähnlich entschieden.
Neue Offensive für Datensammeln

Doch schon kurz nach der Verkündung des Urteils hatte sich die Bundesregierung für eine Neuregelung des staatlichen Datensammelns ausgesprochen. Ein neues Gesetz sei nötig, sagte etwa Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP). Seine Kollegin im Innenministerium, Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), äußerte sich ähnlich. Beide Ministerien wollten aber das schriftliche Urteil des Verfassungsgerichtshofs, das Mitte August erschien, ausführlich prüfen. Das dürfte geschehen sein, denn jetzt starten die Ministerien eine neue Offensive für staatliches Datensammeln. So verkündete Mikl-Leitner laut Neos-Mandatar Niko Alm diese Woche im Innenausschuss des Nationalrats, dass eine Nachfolgeregelung fix kommen solle.

Auch in einem Interview mit der Wochenzeitung "Falter" verlieh die Innenministerin ihrem Wunsch nach einem neuen Gesetz Ausdruck: Der Staat solle, so Mikl-Leitner, präventiv die Handy- und Internetverbindungsdaten aller Österreicher speichern, da den Behörden ja "ohnedies ganz klare Grenzen" gesetzt würden und die Daten "ohnehin gelöscht werden müssen". Als Begründung führte die Innenministerin im Interview jene zwei jungen Mädchen an, die im April nach Syrien gereist waren, um dort im selbsternannten Kalifat der Terrormiliz "Islamischer Staat" zu leben. "Wir würden gerne wissen, mit wem sie telefoniert haben", sagte Mikl-Leitner dem "Falter".
Schon 2005 Begründung für Vorratsdaten-Entwurf

Damit wird zum wiederholten Mal die Gefahr von Terror in Europa zur Begründung für eine präventive Überwachung der Bevölkerung. Denn schon die "alte" Vorratsdatenspeicherung war mit dem Argument der Terrorabwehr eingeführt worden. Durchaus verständlich: Westliche Regierungen standen unter dem Schock des Al-Kaida-Terrors, der – ganz abgesehen von den Anschlägen des 11. September 2001 – bei den Madrider Zuganschlägen im März 2004 191 Todesopfer, bei den Attentaten im Juli 2005 in London 56 Menschenleben forderte. Dazu kamen hunderte teils schwer Verletzte, zwei europäische Metropolen waren tief getroffen worden.
Datenspeicherung nur begrenzt geeignet

Dennoch zeigte sich in den nachfolgenden Jahren, dass die Vorratsdatenspeicherung ein sehr begrenzt geeignetes Instrument zur Terrorismusbekämpfung darstellt. Ein Blick auf die österreichischen Statistiken verrät, dass Vorratsdaten höchstens in homöopathischer Dosis zur Terrorprävention eingesetzt wurden. So kam es im Jahr 2013 zu keiner einzigen Abfrage wegen Terrorismusbekämpfung. Ein Mal soll eine ausländische Regierung angefragt haben, um Vorratsdaten gegen Terroristen einzusetzen. Dafür wurde die Gesamtbevölkerung überwacht, um etwa im Jahr 2013 insgesamt 113 Fälle von Diebstahl, 59 Fälle von Suchtgiftmissbrauch und 52 Fälle von Raub aufzuklären.
Studie zeigte schon 2012 Nutzlosigkeit

Die Statistik überrascht nicht: Schon im Jänner 2012 hatte eine Studie des deutschen Justizministeriums gezeigt, dass sich durch Vorratsdatenspeicherung "nichts an der Sicherheitssituation" ändere. Das wissen auch Geheimdienste, die – trotz NSA-Affäre –immer noch auf menschliches Wissen und Leute vor Ort vertrauen. Denn selbst das Datensammeln im großen, kriminellen Stil – wie etwa von NSA und dem britischen GCHQ – hat nachgewiesenermaßen keine Anschläge verhindert. Tatsächlich waren es andere Ermittlungsmethoden oder vielmehr Glück, was Anschläge wie den nigerianischen Flugzeugbombenleger (Zündung schlug fehl) oder den geplanten Terroranschlag am Bonner Hauptbahnhof (Passagier entdeckte Koffer) verhinderten.
Selbst intensives NSA-Datensammeln verhindert Anschläge nicht

Oder eben nicht: Trotz intensiver Totalüberwachung durch die NSA, die über Vorratsdaten weit hinausgeht, explodierten im April 2013 zwei Bomben beim Boston-Marathon. Auch die Messerattentate durch Terroristen in London und Paris konnten im Frühjahr 2013 nicht verhindert werden, ebenso wenig die Morde im Jüdischen Museum in Brüssel, die ein IS-Anhänger durchführte. Denn Einzeltäter wie den Rechtsextremen Anders Behring Breivik, der im Juli 2011 77 Menschen umbrachte, kann die Vorratsdatenspeicherung nicht stoppen.
Andere Methoden geeignet

Für die Aufspürung gefährlicher Gruppen gibt es andere Methoden: So wurden ausgerechnet knapp nach dem Außerkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung in Österreich mehrere "Jihadisten" verhaftet. Verdächtige können – bei berechtigtem, konkretem Verdacht – jederzeit mit richterlicher Anordnung telefonüberwacht werden, auch ein Zugriff auf Social-Media-Profile ist möglich. Welcher Richter würde den Ermittlungsbehörden solche Maßnahmen bei eindeutiger Sympathie des Verdächtigen für die Terrormiliz IS verbieten?
Zuvor Mord und Kinderpornografie als Argumente

Und dennoch hält der Terrorismus erneut als Begründung für die Einführung eines neuen staatlichen Überwachungsinstruments her. Zuvor hatte Justizminister Brandstetter bereits mit Ermittlungserfolgen bei Mord, das Bundeskriminalamt bei Kinderpornografie Stimmung für die Vorratsdatenspeicherung gemacht, doch vom Verweis auf den zugegebenermaßen angsteinflößenden IS-Terrorismus scheint sich die Regierung mehr Zugkraft zu erwarten. So heißt es dann auch aus dem Büro Brandstetters, man wolle die "Hintermänner des Jihad" bekämpfen.
Auch auf EU-Ebene wird Stimmung gemacht

Unterstützung dazu kommt auf europäischer Ebene: Der designierte EU-Kommissar für innere Angelegenheiten, Dimitris Avramopoulos, will ebenfalls "Möglichkeiten für künftige gemeinsame Vorschriften für die Vorratsspeicherung sondieren". Und auch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière gilt als großer Freund des Vorratsdatenspeicherns.

Passagierdaten, Grenzkontrollen

Er will in den nächsten Tagen in Luxemburg mit anderen EU-Innen- und -Justizministern über "Maßnahmen gegen die IS" beraten – unter anderem soll laut netzpolitik.org über das EU-Abkommen zur Weitergabe von Passagierdaten und eine systematische Kontrolle von EU-Bürgern an EU-Außengrenzen diskutiert werden. Grund genug für freiheitsliebende Bürger, wieder wachsam zu werden. Die Freude über die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung durch den VfGH war kurz, jetzt gilt es, aus dem Etappen- keinen Pyrrhussieg werden zu lassen. (Fabian Schmid, derStandard.at, 8.10.2014)


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